“Irgendwann ist auch ein Traum zu lange her”, sagte mir kürzlich jemand. Es war einer dieser leutseligen Abende, bei denen man nach dem dritten Bier in gemeinsamer Melancholie versinkt. Aber der Satz ließ mich nicht mehr los: Irgendwann, ist es auch für einen Traum zu spät. Aber stimmt das wirklich?
Für mich stand immer fest, dass ein Traum erst mit dem eigenen Ableben wirklich endet. Erst dann ist es wirklich vorbei. Obwohl ich durchaus eingestehe, dass es Träume gibt, die ein deutlich kürzeres Ablaufdatum besitzen: Prima-Ballerina zu werden etwa oder Spitzensportler in jeglicher Form. Aber wird nicht jeder, der tanzen will, sein Leben lang auf irgendeine Art und Weise tanzen? Selbst wenn es nur hinter verschlossenen Vorhängen in den eigenen vier Wänden ist?
Mein Großvater liebte sein Leben lang Fußball. Ich weiß nicht, ob er jemals davon träumte selbst Fußballspieler zu werden, zu der Zeit als mein Opa jung war, gab es vermutlich gar keinen Platz für solche Träume. Das Einzige was ich sicher weiß: Er liebte Fußball. Als mein Onkel klein war, ging er mit ihm zu Fußballspielen und engagierte sich im Schulfußball. Als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde, schmiss er vor lauter Begeisterung ein Fenster ein und ich glaube bis zu seinem Tod hat er so gut wie kein wichtiges Fußballspiel verpasst – zumindest nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Was ich damit sagen will: Hätte mein Großvater davon geträumt, Fußballspieler zu sein, so mag er das vielleicht nicht geschafft haben – aber er kam ihm ziemlich nahe. Und ist es nicht so mit jedem Traum? Egal wie lange man ihn ignoriert, er geht doch nie verloren. Er wächst – er adaptiert, er verändert sich, aber er bleibt. Bis man ihn irgendwann verwirklicht – oder der Verwirklichung zumindest so nahe kommt, wie eben möglich. Oder man eben stirbt.
Irgendwann ist selbst ein Traum zu lange her. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir: Ich schulde meinen Träumen noch Leben. Deshalb sitze ich jetzt hier, in einer Hütte in der schwedischen Pampa und schreibe diesen Text. Weil ich quasi am Tag nach diesem Gespräch über verlorene Träume einen Flug nach Schweden gebucht habe. Weil ich wissen musste, ob ich vielleicht doch nur jahrelang einem Hirngespinst nachgejagt bin – schließlich tut das Land im Grunde nichts, als mir immer wieder das Herz zu brechen.
Aber nein, jetzt sitze ich hier – elf Jahre später und will immer noch nur hier leben. Und immer noch nur schreiben. Ja, ich schulde meinen Träumen noch Leben. Denn die größte Illusion ist die Annahme, dass wir Zeit hätten.