Feminismus setzt sich für die Rechte von Frauen ein. Soweit so gut. Doch mittlerweile gibt es eine ernsthafte Diskussion darüber, ab wann eine Frau eine Frau ist und je mehr ich dazu lese, desto mehr muss ich den Kopf schütteln. Deshalb also ein Text über Transgender, TERFS und warum das Thema auch für alle Cis-Frauen und Cis-Männer relevant ist.
Ich habe bereits im Juni angefangen, diesen Text zu schreiben und ihn immer wieder geändert und abgebrochen. Warum? Weil ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, ob es mir überhaupt zusteht, zum Thema Transgender etwas zu schreiben. Ich bin nicht trans. Ich kenne noch nicht mal jemanden (zumindest außerhalb des Internets), der trans ist. Meine Einstellung zum Thema Transgender ist die Gleiche, wie auch zu Homosexualität oder Non-Binary: Jeder soll nach seiner Facon selig werden. Mittlerweile habe ich nur das Gefühl, dass stille Unterstützung nicht mehr ausreicht. Nicht, wenn ich mir anschaue was diverse Feministinnen in letzter Zeit wieder zum Thema Transgender so von sich geben.
Warum hassen Menschen eigentlich so oft etwas, dass sie überhaupt nicht betrifft?
Es gibt eine Sache, die ich nie verstehen werde: Wie manche Menschen einen solchen Hass auf etwas entwickeln können, dass sie und ihr Leben überhaupt gar nicht betrifft oder beeinflusst. Homosexualität zum Beispiel. Ob mein Nachbar nun einen Mann oder eine Frau liebt, ist doch vollkommen irrelevant für mein Leben. Ich habe dadurch persönlich weder Nachteile noch Vorteile. Genau das Gleiche ist es mit Transgender. Ob ich meinen Nachbarn früher für eine Nachbarin gehalten hätte, ist doch vollkommen irrelevant für mein Leben. Leider sehen das viele Menschen und wie es scheint auch viele Feministinnen ganz anders.
Die „Erfahrung“ – und ich schreibe das ganz bewusst in Anführungszeichen – die mir wirklich die Augen zu dem Thema Transgender geöffnet hat, war eine Serie. In Sense8 gibt es nämlich einen Transgender-Charakter: Nomi, gespielt von Jamie Clayton, einer trans Frau. Dieser Transgender-Charakter hat mir zum ersten Mal wirklich den Unterschied zwischen Transgender und Dragqueens vor Augen geführt hat. Auf Letzteres bin ich absolut nicht stolz. Denn zwischen einer trans Frau und einer Dragqueen besteht ein ganz gravierender Unterschied: Eine trans Frau ist eine Frau, eine Dragqueen dagegen ist oft ein/e cis Mann/Frau in Frauenkleidern.
Trans und Cis – eine Begriffserklärung
Das Wort „trans“ kommt aus dem lateinischen und es bedeutet „jenseits von, darüber hinaus“. „Trans“ wird als Oberbegriff für verschiedene Menschen verwendet, die sich nicht beziehungsweise nicht nur mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Trans Frauen sind also Frauen, die mal als Mann auf die Welt kamen und trans Männer sind Männer, die mal als Frau auf die Welt kamen. Cisgender dagegen setzt sich aus dem lateinischen Wort „cis“ für „diesseits“ und dem Englischen „gender“ zusammen und bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem eigenen Geschlecht übereinstimmt. An sich beides nicht schwierig zu verstehen. Sollte man meinen.
Der Fall J.K. Rowling
J.K. Rowling, die Autorin der Harry Potter-Bücher hat nämlich Anfang Juni plötzlich beschlossen, sie müsse sich dringend zum Thema Transgender äußern. Beziehungsweise den Trans Frauen, die ihrer Meinung nach keine Frauen sind, weil sie „nicht menstruieren“. So schrieb sie am 06. Juni auf Twitter: “‘People who menstruate.’ I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?” – Übersetzt etwa: “Menschen, die menstruieren. Ich bin mir sicher, es gab mal ein Wort für diese Leute. Hilf mir mal einer. Frumen? Fraupen? Fraua?“ Was folgte, war ein Shitstorm.
Die Meinung, dass nur menstruierende Frauen auch echte Frauen sind, ist nicht neu. Vor allem nicht unter Feministinnen. Im Gegenteil, es gibt mittlerweile sogar einen Begriff für Feministinnen wie J.K. Rowling: TERF (steht für „transexclusive-radical feminist“ – „Trans Personen ausschließende, radikale Feministin). Wie jede gute TERF wich auch J.K. Rowling keinen Millimeter von ihrem Statement ab, sondern unterstellte ihren Kritikern Frauenhass und ging in einem langen Blog-Post auf ihrer Seite auf die Gründe für ihre Aussagen ein. Was im Fall von Frau besonders widerlich ist: All die transfeindlichen Tweets und auch der Blog-Post dürfen wohl als Promotion für ihr neuestes Buch gewertet werden. Der Serienkiller darin ist ein Cis-Mann, der sich Frauenkleider anzieht und so Frauen ermordet.
Das Weltbild der TERFs und die Realität
Ich möchte ehrlich gesagt gar nicht mehr so viel auf J.K. Rowling eingehen – einfach weil sie schon viel zu viel Aufmerksamkeit für ihre transphoben Äußerungen bekommen hat – ich weiß aber auch, dass vielen Cis-Frauen und -Männern gar nicht so wirklich bewusst ist WARUM ihre Äußerungen transphob sind. Plus, ihr Blog-Post fasst tatsächlich den Großteil der Vorurteile zusammen, den sie und andere radikale Feministinnen so verbreiten. Deshalb gehe ich jetzt mal die Gründe durch, die Frau Rowling so für ihre Transphobie so anführt, aber ich nehme auch Beispiele anderer TERFs mit rein.
#1 Transgender als „Ausrede“
Hier geht es darum, dass angeblich viele Mädchen und Frauen sich nur deshalb als Transgender identifizieren weil sie
- eigentlich homosexuell sind und sich nicht trauen das auszuleben.
- eigentlich mit psychischen Problemen kämpfen und sich in der Transgender-Community aufgehoben fühlen.
Zunächst mal zu 1 – das ist ein ganz beliebtes Argument von Feministinnen, vor allem unter dem Deckmantel, Lesben schützen zu wollen. Die These dahinter ist, dass junge Homosexuelle (wobei TERFs immer mehr von Lesben reden als Schwulen) sich nicht trauen ihre Homosexualität auszuleben und deshalb trans als Ausweg wählen. Ich meine…klingt logisch oder: Ich lebe in einem homophoben Umfeld und deshalb beschließe ich, dass es einfacher ist, mein Geschlecht zu wechseln. Mir fehlen bei dieser Argumentation echt die Worte, daher weiter zu 2 und etwas mehr Kontext, der gleich mal zeigt, wie sehr viel „einfacher“ es Transgender wirklich haben.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 der University of Arizona in Tucson, die im Fachmagazin “Pediatrics” veröffentlicht wurde, haben 50,8 % aller trans Männer (Transition Frau zu Mann) und 29,9% aller trans Frauen (Transition Mann zu Frau) in den USA im Alter von 11 bis 19 Jahren schon mal einen Suizidversuch unternommen. Für die Studie haben die Forscher unter Führung des Psychologie-Professors Russell Toomey die Daten von mehr als 120.000 jungen Teilnehmern der „Attitudes and Behavior“-Studie ausgewertet. Diese untersuchte die Verhaltensweisen, Einstellungen und Erfahrungen von Schülern und Studenten in den Vereinigten Staaten.
J.K. Rowling kommt nun mit folgender These ums Eck: Viele trans Männer, die beschreiben, dass sie unter psychischen Problemen wie Essstörungen, Angststörungen, Dissoziativen Störungen oder selbstverletzenden Verhalten leiden, nutzen die Transition als Ausweg. Sprich, sie sind nicht Transgender, sie sind einfach nur psychisch krank und finden in der Transgender-Community die Bestätigung, die sie brauchen. Begründen tut Frau Rowling diese Aussage damit, dass sie in ihrer Jugend selbst unter Zwangsstörungen litt und sich fragt, ob sie in den 80igern wohl auch versucht hätte, ein Mann zu werden, um diese Probleme zu lösen. Ja, wirklich.
Diese These ist vor allem eines: Unglaublich diskriminierend. Aber sie zeigt auch ganz deutlich, wie wenig Ahnung Frau Rowling eigentlich von dem Thema Transgender hat. Aber sie ist damit nicht allein. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, hat am 12. September 2020 ein Positionspapier veröffentlicht, in der folgendes steht: „Mädchen haben insbesondere in der Pubertät genügend Anlässe, lieber Jungen sein zu wollen, um dem zu entgehen, was sie in der Gesellschaft an Diskriminierung und Abwertung erleben. Fachleute stellen beim Wunsch nach Transition bereits eine “irritierende Auffälligkeit bei Jugendlichen” fest.“
Das diese „irritierende Auffälligkeit“ vielleicht auch ganz einfach damit zusammenhängt, dass es dank dem Internet immer mehr Informationen zum Thema Transgender gibt? Geschenkt. Ein Interview mit einer Psychiaterin in der „Neuen Züricher Zeitung“ bringt den Unsinn solcher Thesen eigentlich ganz gut auf den Punkt: „Die Jugendlichen, die ich sehe, finden es überhaupt nicht cool, anders zu sein. Wenn Transgender ein Lifestyle wäre, würden sie nicht so leiden. Die Geschichten gleichen sich zu 95 Prozent: Es dauert, bis jemand auf die Idee kommt, dass er Transgender sein könnte. Man quält sich lange mit Fragen: Warum kann ich nicht normal sein wie die anderen? Warum passe ich nirgendwo dazu? Dank dem Internet entdecken sie, dass es anderen auch so geht“, so Dagmar Pauli, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik PUK, in dem Interview.
#2 Männer in Frauenkleidern
Das scheint die größte Angst der TERFs zu sein: Dass alle trans Frauen in Wirklichkeit nur Männer sind, die Transgender quasi als Ausrede nutzen, um dann in Frauenkleidern „echten“ Frauen Gewalt anzutun. Dieses Weltbild sieht man ja auch in J.K. Rowlings neuem Roman. Ihrer Aussage nach habe sie ein schottisches Gesetzesvorhaben „getriggert“ (ihre Worte), dass es Transgender erlaubt, ihr Geschlecht unabhängig von biologischen Merkmalen zu definieren und registrieren zu lassen. Sie befürchtet nun, dass künftig Männer dieses Gesetzesvorhaben nutzen könnten, um Frauen an Orten, die bisher Rückzugsorte waren – wie z.B. öffentliche Damentoiletten oder Umkleiden – zu missbrauchen.
Zunächst einmal: Hier ist eine kurze Zusammenfassung dazu, was der schottische Gesetzesentwurf tatsächlich vorschlägt:
- Statt bei der englischen Regierung sollen Transgender den Antrag zur Änderung ihres Namens und Geschlechts auf offiziellen Dokumenten (Ausweis, Führerschein etc.) künftig beim General Register in Schottland beantragen können.
- Der bisher nötige Nachweis der Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ oder bereits vorgenommener Operationen / Hormonbehandlungen soll wegfallen.
- Die Zeit, die jemand im angestrebten Geschlecht gelebt haben muss, soll von zwei Jahren auf sechs Monate reduziert werden.
- Das Mindestalter für den Antrag soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden.
Wirklich neu sind derartige Gesetzesvorschläge nun auch nicht, in Dänemark wurde etwas Ähnliches bereits 2014 verabschiedet. In Belgien zog man ebenfalls 2018 nach. Solche Gesetzesentwürfe sollen es Transgender einfacher machen, ihr Geschlecht auf offiziellen Dokumenten anzupassen. Es ist aber halt nicht so, als könnten Männer „einfach mal so“ beschließen, dass sie jetzt als Frau leben wollen, denn: Auch nach dem neuen schottischen Gesetzesvorschlag müssen die Antragssteller ihren Antrag vor einem Gericht bestätigen und Falschaussagen oder Täuschungen sind eine Straftat. Was die Ängste von Rowling & Co. offenbaren ist eigentlich nur eines: Ein absolutes Unvermögen, sich in etwas – in diesem Fall Transgender – hineinzuversetzen, dass sie einfach nicht verstehen (wollen).
#3 Das Thema Detransition
Eine weitere TERF-These ist folgende: Angeblich steigt seit Jahren die Zahl der Menschen, die eine Detransition durchmachen – also nach Operationen/Hormonbehandlungen wieder zu dem Geschlecht zurückkehren, mit dem sie geboren wurden. Neben J.K. Rowling arbeitet sich auch die Frauenzeitschrift EMMA regelmäßig an dem Thema ab. Frau Rowling übrigens ohne jegliche Quellenangaben zu ihren Behauptungen, EMMA versucht es dagegen mit einem Erfahrungsbericht dreier ehemaliger trans Männer, die jetzt wieder Frauen sind. Tatsächlich ist es schwierig, zum Thema Detransition verbindliche Zahlen zu nennen, denn: Ja, es gibt Fälle, in denen Menschen ihre Transition rückgängig machen – aktuell aber keine aussagekräftige Studien darüber, wie viele das in Summe wirklich sind.
In einem Artikel im Deutschlandfunk kommt dagegen Mari Günter von der Berliner Beratungsstelle „Queer leben“ zu Wort und sagt zur Zahl der Menschen, die eine Detransition vornehmen lassen folgendes: „Das sind insgesamt sehr wenige Menschen, also nach dem, was wir wahrnehmen können. Aber denen wird eine unglaublich große Aufmerksamkeit in der Forschung, im Wissenschaftsdiskurs geschenkt. Einerseits, und da muss man schon sagen werden sie instrumentalisiert, um weiterhin ein Gatekeeping zu begründen und zu rechtfertigen.“ Ein Artikel in der englischen Vice, der sich ebenfalls mit Detransition beschäftigt und Betroffene interviewt zeigt dagegen, dass diese Menschen ihre Transition nicht etwa rückgängig gemacht haben, weil sie nicht Transgender sind, sondern weil das Leben als trans Frau oder trans Mann verdammt hart ist.
Natürlich sind auch diese Artikel erstmal nur Ausschnitte, aber wie gesagt von „steigenden Detransition-Zahlen“ zu sprechen ist schon gewagt, wenn es keine verbindlichen Studien oder Quellen dazu gibt. Vor allem wenn sie Studien gegenüberstehen, die eindeutig zeigen, dass gerade Transgender-Jugendliche ein 5,87 Mal erhöhtes Risiko für Suizid haben.
Transgender-Rechte sind Menschenrechte
Auf Twitter gab es vor einem Jahr mal einen Tweet , der sich an Transgender richtete mit der Frage: Was würdet ihr tun, wenn es auf der Welt 24 Stunden lang keine Cisgender gäbe. Die überwältigende Antwort: Ins Schwimmbad gehen. Auch auf Twitter fragte vor kurzem eine trans Frau Cis-Frauen, wie sie wohl reagieren würden, wenn sie ihr auf einer öffentlichen Toilette begegnen würden. Meine einzige Sorge auf einer öffentlichen Toilette ist die Hygiene – nicht ob mich jemand rausschmeißt oder verbal oder sogar körperlich angreift. Wenn man so etwas liest, zusammen mit den ganzen Scheinargumenten von TERFs und anderen Hatern, dann frage ich mich schon: Reden wir hier von Transgender-Rechten oder nicht eigentlich von Menschenrechten?
Das Bild, das ich bis vor kurzem von Transgender hatte, war stark geprägt durch das, was man über Medien wie Filme, Bücher oder Serien so mitbekommt. Wie gesagt, erst Serien wie Sense8 (Nomi) und Shameless (Trevor) haben mir wirklich die Augen geöffnet, was den Unterschied zwischen Dragqueens und Transgender betrifft (und nochmal: Ich bin nicht stolz darauf). Ich kann daher jedem halbwegs unvoreingenommenen Cis-Menschen nur empfehlen: Informiert euch. Hört zu. Und vor allem: Zeigt Mitgefühl und Verständnis und behandelt jeden eurer Mitmenschen – egal ob Transgender, Non-Binary oder Cisgender genau so, wie ihr auch selbst behandelt werden wollt.
Für alle, die sich mehr zum Thema Transgender informieren wollen, ein paar Lese- und Hörempfehlungen:
- Disclosure – Hollywoods Bild von Transgender, eine Dokumentation auf Netflix in der verschiedene trans Schauspieler / Drehbuchautoren / Regisseure zu Wort kommen.
- Fake it ’til you make it – Der Trans*podcast, hier berichtet ein junger trans Mann über seine persönlichen Erfahrungen
- Transgender Kinder – eine WDR Dokumentation, die vier Kinder / Jugendliche begleitet.
- Jim und der schwere Weg zur Akzeptanz – ein sehr lesenswerter Artikel auf von BR Puls
- Endlich Ben – Transgender: Mein Weg vom Mädchen zum Mann, ein autobiographisches Buch von Benjamen Melzer
- dgti – Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.
Quellenangaben zu diesem Text: